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Architektenkammer Sachsen

Offener Brief zum Neubau der Carolabrücke vom 11. Juni 2025
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Hilbert,
der nach dem überraschenden Einsturz dringend erforderliche Ersatzneubau der Carolabrücke ist nach unserer fachlichen Überzeugung keine rein ingenieurtechnische Aufgabe. Die Anforderungen gehen weit über die unmittelbar notwendige, verkehrstechnische Querung der Elbe hinaus.
Die Lage im Herzen der Stadt, eingebettet in das landschafts- und stadtbildprägende Elbtal, in Sichtweite von historischer Altstadt, Regierungsviertel und Johannstadt, am Schnittpunkt von Wegebeziehungen, die von Nord nach Süd (Altstadt-Neustadt, B170) und von Ost nach West (Terrassenufer, Elberad-/Fußweg) verlaufen, muss ein Brückenneubau darüber hinaus soziale, städtebauliche, verkehrsstrategische, denkmalpflegerische, naturschützende und ästhetische Fragestellungen berücksichtigen – kurz, es handelt sich um eine hochkomplexe gestalterische Aufgabe, die dem Gemeinwohl auf vielfältige Weise verpflichtet ist.
Diesem hohen Ziel muss sich – bei allem Verständnis für das Ansinnen eines schnellen Wiederaufbaus – die Wahl des Genehmigungs- und Planungsverfahrens unterordnen:
Das Verfahren muss dem Bauvorhaben dienen, nicht umgekehrt!
Als Architektinnen und Architekten in Dresden haben wir großes Interesse daran, dass der Neubau der Carolabrücke ein zukunftsträchtiges Erfolgsprojekt wird. Wir diskutieren und verfolgen die Entwicklungen, Zwänge und Potentiale, die der Neubau an dieser Stelle mit sich bringt. In einer Umfrage unter den über 1.100 Mitgliedern der Architekten-kammer in Dresden, die sich aus Stadtplaner:innen, Landschaftsarchitekt:innen, Innenarchitekt:innen und Architekt:innen zusammensetzen, hat sich deutlich gezeigt, dass dem Thema eine hohe Relevanz zugesprochen wird.
Wir konnten mit 79 % der Teilnehmenden einen Konsens darüber erreichen, dass wir es für richtig halten, die Entscheidungen zur Brücke nicht allein vom Verfahren abhängig zu machen. Eine ideale Umsetzung des Ziels sollte im Vordergrund stehen und nicht aufgrund einer verfahrenstechnischen Einschränkung in den Hintergrund rücken.
Gleichzeitig sehen 66% der Teilnehmenden eine schnellstmögliche Realisierung der neuen Brücke als wichtig an. Dies unterstreicht, dass die Vorteile eines Wiederaufbaus ohne neues Planfeststellungsverfahren in Bezug auf Geschwindigkeit durchaus gesehen werden, jedoch auch innerhalb dieses Verfahrens eine gründliche Bewertung der Spielräume erforderlich ist, um nicht die erstbeste, sondern die bestmögliche Lösung in kürzest möglicher Zeit umzusetzen.
Dabei gilt es, die Potentiale des Wiederaufbaus und gestalterische Spielräume zu nutzen. Neben einer möglichen oder sogar notwendigen Neuordnung der Verkehrsströme bietet sie zum Beispiel die Chancen, die Brückenköpfe und anschließenden Stadträume neu zu bewerten und unter Gesichtspunkten eines modernen Städtebaus zu entwickeln.
Diese Potentiale sehen 90% der Teilnehmenden und fordern, die Brücke im Kontext von Verkehr, Städtebau und Ökologie neu zu denken.
Wir begrüßen die Absichtserklärung der Stadt, einen Wettbewerb zum Neubau der Brücke auszuloben. In unserer Umfrage hatten sich 71% dafür ausgesprochen und erachten einen internationalen und fachübergreifenden Wettbewerb als richtigen Weg zur Lösungsfindung.
Im Kontext der komplexen Gestaltungsaufgabe dieser Brücke im Herzen von Dresden halten wir die Auslobung eines fachübergreifenden Wettbewerbs, der die gestalterischen architektonischen wie auch die ingenieurstechnischen Leistungen gleichermaßen würdigt und deren gemeinsames Potential vollumfänglich ausschöpft, nicht nur für angemessen, sondern für unbedingt erforderlich.
Bei Fragen zu Konzeption, Vorbereitung und Durchführung eines Wettbewerbsverfahrens steht die Architektenkammer Sachsen gerne mit fachlicher Expertise zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Wohlfarth, Präsident
Juliane Schild, Vorsitzende Kammergruppe Dresden